MARY BAUERMEISTER
WERKE 1957 – 1967
Portrait Mary Bauermeister, 2014
Foto: Oliver Mark
MARY BAUERMEISTER
WERKE 1957 – 1967
Portrait Mary Bauermeister, 2014
Foto: Oliver Mark
Mary Bauermeister vor Wabenbild, 1960
Foto: Peter Fürst
Die Solinger Ausstellung Pli Score Pli stellt unbekannte Aspekte des Frühwerks Mary Bauermeisters in den Fokus. Meist wird lediglich die außergewöhnliche Materialvielfalt und bildnerische Experimentierfreude der Künstlerin thematisiert. Graphit, Farben, Worte treffen auf Steine, Treibholz, sizilianische Bettlacken oder gläserne Linsen. Doch liegt der sinnlichen Erscheinung dieser Werke ein systematischer Entstehungsprozess zugrunde. Der intellektuelle Ursprung ihrer Bildideen und die Affinität zu zeitgenössischer Musik mögen vielleicht nicht sofort erkennbar sein – bei näherer Betrachtung sind sie aber unverkennbar.
Die strukturellen Bildfindungen stehen unter dem Einfluss von zeitgenössischer Musik, seriellen Kompositionen, Happening, Fluxus und Postmodern Dance. Mathematisches Kalkül und rationale Prinzipien sind Grundlage der malerischen Kompositionen, die wie „Scores“ (englisch für Musikpartituren) angelegt sind. Die avantgardistischen Notationen von den progressiven Komponisten der frühen 1960er-Jahre bezogen grafische sowie schriftliche Elemente ein, weswegen Künstlerinnen wie Mary Bauermeister durch ihr bildnerisches auch das musikalische Denken der Zeit veränderten.
Neben den kompositorischen Überlegungen weist das Frühwerk Bauermeisters aber vor allem ein räumliches Gestaltungsprinzip auf. Durch das Falten von Papieren erschloss sie neue Raumdimensionen, erzeugte Spiegelungen und ließ Bilder über den Rahmen auf die weißen Ausstellungswände hinauswandern. „All things are involved in all other things“ ist einer ihrer Leitgedanken, der auch ihr spirituelles Verhältnis von innen und außen, Natur und Kultur, den Einfaltungen der kleinsten Details ins Makrokosmische umfasst. Die Ausstellung schlägt somit den Bogen vom musikalischen zum philosophischen Bezug ihres komplexen Werkdenkens und lädt die Besucher ein, das bekannt-unbekannte Œuvre der Künstlerin endlich mit eigenen Augen und Ohren zu entdecken.
CHRISTIAN JENDREIKO
WERKE 2003 – 2017
Portrait Christian Jendreiko
Foto: Matthias Lahme
Das Werk Mary Bauermeisters wird in einen Dialog mit Arbeiten des Künstlers Christian Jendreiko gestellt. Damit konfrontiert man Mary Bauermeisters Frühwerk mit einer zeitgenössischen künstlerischen Position. Auch Jendreiko ist im Ausland bekannter als in Deutschland, auch seine Kunst verwendet serielle Prinzipien und ist intermedial.
Einsatzpunkte für Jendreiko sind sprachlich abgefasste Partituren, Aktionstexte genannt, die das Spiel der an Musikinstrumenten agierenden Akteure hinsichtlich Bewegung, Stimmung und Selbstreflektion bestimmen. In diesen sogenannten Bewegungssituationen entfalten sich Klänge nicht im Zuge der konventionellen Organisation auf ein Endprodukt Musik oder Musikstück hin, sondern als Begleiterscheinung einer durch den Künstler initiierten Gestik am Instrument: „Jeder Laut im Raum ist die Folge einer körperlichen Bewegung.“ Die Gesten der vor Publikum spielenden Akteure sind individuell, interagierend und ortsbezogen. Die verwendeten Instrumente und Apparaturen sind Teil der Aktionssituationen und übernehmen in deren Verlauf die Rolle von Installationsobjekten, die auch dann eine zentrale Rolle im Raum spielen, wenn die Akteure noch nicht, oder nicht mehr anwesend sind.
Mary Bauermeister (*1934 in Frankfurt am Main, lebt und arbeitet im Oberbergischen Land) gilt als eine der wichtigsten Impulsgeberinnen für die rheinische Kunstszene: In ihrem Kölner Atelier trafen sich Anfang der 1960er-Jahre Künstler wie Nam June Paik, John Cage, die Düsseldorfer Gruppe Zero oder Theodor W. Adorno. Ihr Umfeld wird „als die Urzelle des Aufstiegs Kölns zur Kunstmetropole“ (Wulf Herzogenrath) angesehen.
Nachdem sie 1962 im Stedelijk Museum Amsterdam gemeinsam mit dem Komponisten und späteren Ehemann Karlheinz Stockhausen eine Ausstellung hatte, wagte sie sich ohne finanziellen Rückhalt nach New York, die neue Hauptstadt der Kunst. Dort wurden ihre Werke vom Museum of Modern Art angekauft, dort diskutierte sie mit Robert Rauschenberg und Andy Warhol. Heute gilt sie unbestritten als eine zentrale Position der nachkriegsdeutschen Kunstszene, kunsthistorisch wurden ihre Werke in Deutschland bisher jedoch viel zu wenig verortet. In Amerika erhielt sie zuletzt u. a. eine Retrospektive und die New York Times titelte 2016: „Mary Bauermeister, Omniverse“.
Abbildung:
MARY BAUERMEISTER
Needless Needles Volume V (Detail)
1964
Foto: Peter Hinschläger
Christian Jendreiko (*1969 in Recklinghausen, lebt und arbeitet in Düsseldorf) beschäftigt sich mit dem Entwurf einer algorithmusbasierten Kunst in Form von Instrumentalaktionen, für die er eine spezielle Art der Verbalnotation entwickelt hat. In diesem Kontext entstehen auch Zeichnungen, Collagen und Installationen. Jendreikos Arbeit kann als eigenwilliger Beitrag zu den methodischen Ansätzen des „Spekulativen Realismus“ gelesen werden und ist weltweit in Museen, Galerien und Kulturinstitutionen zu erleben. 2003 wurde eine Reihe seiner Arbeiten in die Sammlung des Musée d’Art Moderne, Centre Pompidou, Paris aufgenommen.
Jendreiko arbeitet gerne kollaborativ an einem „post-partikularen Kunstbegriff“: seit 31 Jahren mit Stefan Werni als Duo Werni & Jendreiko, seit 1998 als Mitglied der Düsseldorf-Londoner Künstlergruppe hobbypopMUSEUM.
Jendreiko war Gastprofessor an der Akademie der Bildenden Künste, Nürnberg, und ist derzeit Gastprofessor an der Peter Behrens School of Arts in Düsseldorf.
Abbildung:
CHRISTIAN JENDREIKO
Zeichnung aus: Der Anfang des 21. Jahrhunderts (Detail)
2006
Bilder Eröffnung, Führung und Finissage
(Fotos von Christian Beier)